Demozid seit dem Zweiten Weltkrieg


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Über Rudolph Rummel

Interview mit Rudolph Rummel

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Übersetzte Texte:

a) Bücher:

Macht tötet, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 2

Leben retten, Kapitel 1

Leben retten, Kapitel 8

b) Artikel:

Genozid

Demokratische Friedensuhr

Demozid und Krieg ausmerzen

Demozid nach dem 2.Weltkrieg

 

 

Originaltitel des Artikels:
R.J. Rummel: Democide Since World War II

Anmerkung des Übersetzers: Die von Rummel 1994 genannten Demozid-Zahlen für das 20. Jahrhundert sind von ihm selbst im Jahre 2005 zweimal nach oben korrigiert worden: Erstens durch neue Erkenntnisse über die Terrorherrschaft von Mao Tsetung, vor allem auf der Basis der Mao-Biographie von Jung Chang, sowie zweitens durch eine Neubewertung des kolonialen Genozids vor allem in Belgisch-Kongo ergibt sich eine neue Gesamtzahl von 262 Millionen Demozid-Toten zwischen 1900 und 1999.

Wie auf dieser Webseite gezeigt wird, (siehe z.B. Tabelle 1.2 in Tod durch Staat), ermordeten Staaten zwischen 1900 und 1987 ungefähr 170 Millionen Menschen. In Bezug auf diese Zahl werde ich oft gefragt, wie viele dieser Morde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 passierten. Mit Beendigung jenes Krieges und der Entdeckung der Größenordnung des Holocausts forderten viele „Nie Wieder“. Doch unsere Geschichte seitdem war vielmehr ein „Wieder, wieder, wieder und wieder.“

Von 1945 bis 1987 sind ungefähr 76 Millionen Menschen kaltblütig von dem einen oder anderen Regime ermordet worden, ungefähr dreizehn mal so viele wie im Holocaust ermordete Juden. Der meiste Demozid geschah aus politischen Gründen (aus Staats- oder Machträson), doch vieles davon war auch regelrechter Genozid (das Töten von Menschen aufgrund ihrer Ethnizität, Rasse, Religion oder Nationalität – zum Unterschied zwischen Demozid und Genozid klicken Sie hier). Von 1900 bis 1987 sind auf der ganzen Welt ungefähr 39 Millionen Menschen, darunter die Juden im Holocaust, genozidal getötet worden. Ich habe keine Teilzahlen dieser Gesamtsumme für die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, doch es scheint, daß die Proportion des Genozids zum gesamten Demozid ungefähr gleichgeblieben ist. Demnach gehen nach dem Zweiten Weltkrieg ungefähr 20 Millionen Ermordete auf das Konto von Genozid.

Die größte Quelle von Nachkriegs-Demozid war der Kommunismus (siehe kommunistische Todesbilanz). Während und nach dem Krieg ergriffen Kommunisten die Macht oder kamen wie in Osteuropa mithilfe des sowjetischen Militärs an die Macht. Neben der UdSSR, der Mongolei, den osteuropäischen Regimen, Ostdeutschland und der Tschechoslowakei gehörten zu den kommunistischen Regimen schließlich auch China, Nordkorea, Nordvietnam, Laos, Kambodscha, Kuba, Grenada, Afghanistan, Angola, Äthiopien, Mosambik, Nicaragua und Südjemen, insgesamt 26 Regime. Diese kommunistischen Staaten und die von ihnen in anderen Ländern unterstützten kommunistischen Guerillas sind ungefähr für 66 Millionen der 76 Millionen nach dem Krieg ermordeten Menschen verantwortlich, eine Rate von 87 Prozent. Von allen Regimen waren eindeutig die kommunistischen bei weitem die größten Mörder. Während dieser Jahre hatten wir es zumeist eher mit Tod durch Marxismus zu tun als allgemein mit Tod durch Staat.

Andere Regime indes ermordeten zwischen 1946 und 1987 ungefähr 10 Millionen Menschen. Dieses Töten geschah infolge von Versuchen, die Kontrolle über Kolonien zu erhalten, wie etwa durch Frankreich und Portugal, um das Land oder neu gewonnenes Territorium nach dem Krieg von ethnischen Deutschen zu reinigen, wie etwa in Polen und der Tschechoslowakei, oder es ging um ethnische Säuberungen wie in Nigeria und Burundi, um Machterhalt, wie etwa bei der nationalistischen Regierung Chinas und bei Pakistan, oder um eine Theokratie wie im Iran oder um einen Staatssozialismus wie in Myanmar zu errichten.

Die Tabellen 1-5 stellen die Demozidgesamtzahlen für jedes einzelne Regime zwischen 1946 und 1987 sowie eine Rangliste der Regime in Bezug auf deren Demozid für jedes Jahrzehnt dar. Für jedes Jahrzehnt kann man den Demozid kleinerer Diktaturen und in den ersten Jahrzehnten den massiven Beitrag der kommunistischen Regime zur Gesamtsumme sehen. Doch mit zunehmender Annäherung an das Jahr 1987 gab es mit dem Niedergang des Kommunismus auch einen klaren Abfall des gesamten Demozids. Dies kann man am besten in der Einzeljahraufstellung des gesamten Demozidaufkommens in Abbildung 23.1 sehen („nichtstaatliche Regime“ in der Aufstellung beziehen sich auf Guerilla-Organisationen und Terroristengruppen, die ein bestimmtes Territorium kontrollieren, wie dies Castro vor seinem Sieg über das Batista-Regime in Kuba tat). Der absolute Höhepunkt des Demozids vollzog sich während des Zweiten Weltkriegs. Doch anstatt daß dieser einen Endpunkt markierte, stellte sich ein neuer Höhepunkt in den 50er Jahren ein, als ein neues kommunistisches Regime nach dem anderen versuchte, seine Opposition zu eliminieren und eine totalitäre Kontrolle zu errichten. Und mit der Etablierung neuer kommunistischer Regime in den 60er Jahren sehen wir einen weiteren Höhepunkt. Der nächste und letzte Höhepunkt in den frühen 70er Jahren ist hauptsächlich bedingt durch den Demozid Westpakistans im aufrührerischen Ostpakistan im Jahre 1971 (über eine Million Ermordete).

Was geschah seit 1987, dem Endjahr meiner Statistiken? Demozid geschah natürlich auch weiterhin, wie jeder Zeitungsleser attestieren wird. Etwa 500.000 bis 1 Million Ruander wurden erschlagen, und ungefähr 2 Millionen Menschen wurden in Nordkorea während einer anhaltenden Hungersnot (die aufgrund praktischer Ziele auf Absicht beruhte) zu Tode gehungert. Möglicherweise wurden in jedem der folgenden Länder, nämlich dem Irak, dem Sudan, Somalia und Burundi, Hunderttausende von Menschen ermordet, und geringere Zahlen von Menschen wurden im Kosovo, in Bosnien, Algerien, Angola, Äthiopien, Uganda, Kongo, Zaire, China, Indonesien, Kambodscha, Afghanistan, Indonesien und Nordkorea (zusätzlich zur politisch motivierten Hungersnot) ermordet. Dann haben wir Aserbaidschan, Liberia, Nigeria, Myanmar, die Türkei, Rußland, Syrien, Sri Lanka und den Iran, wo seit 1987 Hunderte oder Tausende Menschen ermordet wurden. Und zweifellos gibt es andere Staaten, die es verdienen, wegen ihrer Demozide erwähnt zu werden, die jedoch bislang der Aufmerksamkeit der Medien entgingen.

Wie viele Leichen sollten also zu der weltweiten Gesamtzahl des Jahres 1987 dazu addiert werden? Ich kann nur eine fundierte Vermutung anstellen, doch würde ich die Zahl zwischen 3 und 6 Millionen ansiedeln. Sagen wir, daß eine plausible Todeszahl bei 4 Millionen liegt. Für die Jahre 1946 bis 1999 würde dies eine Demozidgesamtzahl von ungefähr 80 Millionen ergeben. Selbst wenn die für 1988-1999 geschätzten 4 Millionen ungefähr richtig sind, dann ist dies in absoluten Zahlen zwar eine gewaltige Zahl von Morden, jedoch viel weniger als wir aufgrund der Durchschnittszahl von Ermordeten pro Jahr zwischen 1900 und 1987 hätten erwarten können. Tatsächlich hätten wir aufgrund dieser Durchschnittszahlen ungefähr 19 Millionen zusätzliche Tote in den Jahren 1988 bis 1999 erwarten müssen.

Lassen wir einen Moment innehalten und über die wahrscheinlich 80 Millionen nach dem Zweiten Weltkrieg ermordeten Menschen nachdenken. Dies ist eine Bilanz, die man unmöglich verdauen kann. Nur zwölf Länder der Welt haben eine Bevölkerung, die größer ist als diese Anzahl von Ermordeten. Es ist, als ob die Gesamtzahl der philippinischen Bevölkerung von 79 Millionen ermordet werden würde, oder als ob alle Menschen in der Tschechischen Republik, Ungarn, Belgien, Portugal, Schweden, Österreich, Schweiz, Dänemark, Finnland und Norwegen zusammen ausgelöscht würden – nicht durch irgendeine Naturkatastrophe, die schnell tötet, sondern wie die meisten Opfer in einem qualvollen und langsamen Tod durch die Hand eines Staates. Um anders auf diese Bilanz zu blicken: Es sind allein fünf mal mehr als die Summe der im Kampf Gefallenen aller Nationen, die im Zweiten Weltkrieg kämpften. Wenn man die im Korea- und im Vietnamkrieg Gefallenen dazuzählt, den tödlichsten Kriegen seit dem Zweiten Weltkrieg, dann ist die Zahl der Demozidtoten zwischen 1946 und 1999 immer noch fast drei mal höher als die Gesamtzahl der Gefallenen. Vielleicht kann man diesen Demozid immer noch nicht fassen. Dann betrachten wir dies: Kopf an Zehenspitzen aneinandergereiht und bei einer angenommenen Körpergröße von 5 Fuß (1,52 Metern) würden 80 Millionen Opfer die Welt (am Äquator) drei mal umrunden. Drei mal!

Doch wie schon ausgeführt wurde, befindet sich Demozid in einem scharfen Abwärtstrend. Wie kommt das? Wie aufgrund des oben genannten klar sein sollte, ist der erste Grund dafür, daß die tödliche totalitäre Variante des Kommunismus so gut wie tot ist. Sie existiert nur noch in Nordkorea. Und China und Kuba haben sich hin zu einer mehr autoritären und weniger totalitären Variante bewegt. Ein zweiter Grund ist daß Demokratie – die Regierungsform, die am wenigsten anfällig ist für Demozid, vor allem gegen seine eigenen Bürger – überall in der Welt Verbreitung fand. Von vielleicht etwa einem Dutzend Ländern im Jahre 1946  wuchs die Zahl der Demokratien bis auf 114 von 191 Staaten im Jahre 1995. Das Zeitalter des Totalitarismus ist vorbei und das der Demokratie ist angebrochen. So viel ich weiß, hat seit 1987 kein demokratischer Staat Demozid begangen (in Bezug auf bürgerliche und politische Rechte sind bislang weder Rußland noch die Türkei eine liberale Demokratie), was aufgrund des Mottos dieser Webseite auch vorhersehbar ist: Macht tötet – je weniger Macht, desto weniger Demozid.

Zudem wirken mit dem Wachstum der Demokratien Änderungen in Normen, Struktur und Funktionieren des internationalen Systems dem Demozid entgegen. Staatliche Souveränität ist nicht länger ein legales oder konzeptuelles Bollwerk gegen eine internationale humanitäre Intervention in einem Staat. Mithilfe der Vereinten Nationen hat die internationale Gemeinschaft interveniert, um das Töten in Bosnien und Ruanda zu stoppen, und während ich das hier schreibe, führt die NATO eine Militäraktion gegen Serbien durch, um den Demozid im Kosovo zu unterbinden. Diese Interventionen erfolgen zugegebenermaßen oft zu spät. Und es ist richtig, daß es zu viele Fälle von Massenmord gibt, die ignoriert werden. Doch eine grundlegende legale Brücke wurde überschritten, und kein des Massenmords schuldiger Staat kann nun sicher sein, sich unter dem Vorwand schützen zu können, daß es sich um seine eigene Angelegenheit handle. Dies hat sich nun besonders bewahrheitet, erstens mit der vorangegangenen Schaffung eines temporären Tribunals in Den Haag durch die UN, um die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien anzuklagen und vor Gericht zu stellen, und zweitens durch die Annahme (durch 120 von 7 Staaten) eines Vertrags für die Einrichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshof in Den Haag im Jahre 1998, um Genozid, Kriegsverbrechen, Aggressionen und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Das Gericht wird die Befugnis haben, Haftbefehle gegen die Bürger eins Landes selbst gegen den Willen der betreffenden Regierung auszustellen – ein bemerkenswerter Schritt, um Demozid durch Staaten zu einem bestrafungswürdigen Vergehen zu machen.

Doch es gibt immer noch sehr viel zu tun, um diesen Horror zu eliminieren. Selbst in diesen Tagen und in diesem Zeitalter können wir erleben, wie Kongos Regierung unter Präsident Laurent Kabila über das staatliche Radio einen offenen Aufruf zum Mord verbreitet:

Die Leute müssen eine Machete, einen Speer, einen Pfeil, eine Hacke, Spaten, Harken, Nägel, Knüppel, Elektrodrähte, Stacheldraht, Steine und dergleichen mitbringen, um, liebe Zuhörer, ruandische Tutsis zu töten (zitiert aus dem Wall Street Journal, 19. August 1998, Seite A-18)

Die meisten Demozidfälle, die auf dieser Webseite detailliert beschrieben wurden, waren ebenso unverhohlene direkte staatliche Aktionen. In der Tat war für viele Nationen, wie für die UdSSR, dem kommunistischen wie dem nationalistischen China, Nazi-Deutschland, der Türkei während des Ersten Weltkriegs und für die kambodschanischen Roten Khmer Demozid genauso ein Bestandteil der Politik ihrer Regierungen wie Gefängnisse oder eine Armee zu haben. Demozid war kein Vorfall oder eine Episode, kein Zufall oder Unfall, es wurde im Rahmen einer üblichen Abfolge von Ereignissen durchgeführt, manchmal sogar um Regierungsquoten in Bezug auf die Zahl der zu tötenden zu erfüllen.

Die aus all diesem Horror zu ziehende Lehre ist klar, was auch der jüngste Demozid bestätigt: Reduzieren Sie die Staatsmacht, kontrollieren Sie und balancieren Sie sie aus, verteilen Sie sie auf verschiedene Regionen und Kommunen, beschränken Sie sie durch die Verfassung, und lassen Sie das Volk deren einzige Quelle und Richter sein. Das heißt, verbreiten Sie demokratische Freiheit!

ANMERKUNGEN

* Mai 1998. Dieser Text wurde für diese Webseite geschrieben, da oft Fragen über Demozide seit dem Zweiten Weltkrieg gestellt wurden.

 

Übersetzung: David Schah