Tod durch Staat


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Über Rudolph Rummel

Interview mit Rudolph Rummel

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Übersetzte Texte:

a) Bücher:

Macht tötet, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 2

Leben retten, Kapitel 1

Leben retten, Kapitel 8

b) Artikel:

Genozid

Demokratische Friedensuhr

Demozid und Krieg ausmerzen

Demozid nach dem 2.Weltkrieg

 

 

Originaltitel des Buchs:
R.J. Rummel: Death by Government. New Brunswick, N.J.: Transaction Publishers, 1994

Anmerkung des Übersetzers: Die von Rummel 1994 genannten Demozid-Zahlen für das 20. Jahrhundert sind von ihm selbst im Jahre 2005 zweimal nach oben korrigiert worden: Erstens durch neue Erkenntnisse über die Terrorherrschaft von Mao Tsetung, vor allem auf der Basis der Mao-Biographie von Jung Chang, sowie zweitens durch eine Neubewertung des kolonialen Genozids vor allem in Belgisch-Kongo ergibt sich eine neue Gesamtzahl von 262 Millionen Demozid-Toten zwischen 1900 und 1999.

Kapitel 2: Definition von Demozid *

Genozid: Unter anderem das Töten von Menschen durch einen Staat wegen ihrer unabänderlicher Gruppenzugehörigkeit (Rasse, Ethnizität, Religion, Sprache).

Politizid: Die Ermordung irgendeiner Person oder von Leuten durch einen Staat wegen ihrer Politik oder politischen Absichten.

Massenmord: Das wahllose Töten irgendeiner Person oder von Leuten durch einen Staat.

Demozid: Die Ermordung irgendeiner Person oder von Leuten durch einen Staat, was Genozid, Politizid und Massenmord einschließt.

Genozid ist schrecklich, eine Scheußlichkeit unserer Spezies, völlig unakzeptabel. Er ist eine Obszönität, das Übel unserer Zeit, an deren Beseitigung alle guten Menschen arbeiten müssen. Und im Kern gibt es keinen Zweifel daran, was dieses Übel bedeutet – man muß nur zur Kenntnis nehmen, daß das Nazi-Programm zur Tötung aller Juden Genozid war. Und es gibt auch keinen Zweifel daran, daß das gegenwärtige Massaker der bosnischen Serben an den bosnischen Muslimen Genozid ist. Doch waren auch das Massaker an hilflosen Dörflern im Sudan durch gegen eine Rebellion vorgehende Regierungskräfte, die Kommunistensäuberungen der indonesischen Armee, die Ermordung politischer Gegner durch die nationalistische Regierung auf Taiwan, die „Landreform“-Exekutionen der Kulaken in der Sowjetunion oder der schnelle Tod von Insassen in vietnamesischen Umerziehungslagern Genozid? Was ist mit Geschehen, die nichts mit Mord zu tun hatten und Genozid genannt wurden wie die Absorption einer Kultur durch eine andere, was ist mit einer Krankheit, die Eingeborenen durch den Kontakt mit Siedlern übertragen wurde, was mit der Zwangsumsiedlung eines Volkes oder mit der afrikanischen Sklaverei?

In internationalen Konventionen und in der einschlägigen Literatur wurde Genozid zuerst als die beabsichtigte Vernichtung eines Volkes aufgrund seiner Rasse, Religion, Ethnizität oder einer anderen unabänderlichen Gruppenzugehörigkeit angesehen. Der Ursprung dieses Konzepts ist die Arbeit von Raphael Lemkin aus dem Jahre 1944 über die Herrschaft der Achsenmächte im besetzten Europa (Axis Rule in Occupied Europe):

Neue Konzeptionen erfordern neue Begriffe. Mit “Genozid” meinen wir die Vernichtung einer Nation oder einer ethnischen Gruppe. Dieses neue Wort, geprägt vom Autor, um eine alte Praxis in ihrer modernen Entwicklung zu bezeichnen, setzt sich aus dem altgriechischen Wort genos (Rasse, Stamm) und dem lateinischen cide (Töten) zusammen, entspricht in seiner Wortbildung also Wörtern wie Tyrannizid, Homizid, Infantizid usw. Allgemein gesagt meint Genozid nicht unbedingt die sofortige Vernichtung einer Nation, außer wenn diese durch Massentötungen aller Mitglieder der Nation erfolgt. Genozid soll eher einen koordinierten, aus verschiedenen Aktionen bestehenden Plan bezeichnen, der darauf abzielt, die grundlegenden Lebensgrundlagen nationaler Gruppen zu zerstören, mit dem Ziel, diese Gruppen selbst zu vernichten. Die Ziele eines solchen Plans wären die Auflösung der politischen und sozialen Institutionen, der Kultur, der Sprache, des Nationalgefühls, der Religion und der wirtschaftlichen Grundlage der nationalen Gruppen sowie die Zerstörung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit, Würde und selbst des Lebens der Individuen, die zu solchen Gruppen gehören. Genozid ist gegen die nationale Gruppe als Einheit gerichtet, und die involvierten Aktionen richten sich gegen Individuen, nicht aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften, sondern aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen Gruppe.1

 

Dies wurde auf der Höhe des Holocausts an den Juden geschrieben, wobei wir es mit einem klaren Fall eines Regimes zu tun haben, das versuchte, eine ganze Gruppe, ihre intellektuellen Beiträge, ihre Kultur und das Leben all ihrer Mitglieder auszuradieren. Es gab einen unmittelbaren Bedarf daran, diesen Horror auf irgendeine Weise zu konzeptualisieren, und man tat es mit dem Begriff „Genozid“. Während der Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher, als es während der Nachkriegsdiskussion und um die Frage ging, wie man solche Morde in Zukunft vermeiden könne, wurde für gewöhnlich der Begriff „Genozid“ verwendet. Und binnen unglaublich kurzer Zeit ging er von Lemkins Buchseiten in internationales Recht über. 1946 erkannte die Vollversammlung der Vereinten Nationen an, daß „Genozid ein unter internationales Recht fallendes Verbrechen ist, das die zivilisierte Welt verurteilt und für dessen Ausübung Auftraggeber und Helfershelfer zu bestrafen sind.“ Zwei Jahre später dann wurde dies von der Vollversammlung konkretisiert. Sie ratifizierte das Abkommen zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermordverbrechen. Dieser internationale Vertrag, der letztendlich von weit mehr als der Mehrheit der Staaten unterschrieben wurde, bestätigt, daß Genozid ein unter internationales Recht fallendes strafbares Verbrechen ist und setzte fest, daß Genozid folgendes bedeutet:

Jede der folgenden Taten, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

a)      Tötung von Mitgliedern der Gruppe;

b)      Verursachung von schwerem körperlichen und seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe;

c)      Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;

d)      Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;

e)      Gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe

Zu beachten ist, daß die Konvention konsistent ist mit der Definition und Ausarbeitung von Lemkin. Relevant ist dabei, daß der Schwerpunkt beider Genozid-Definitionen auf der Absicht liegt, eine Gruppe ganz oder zum Teil zu vernichten. Ein Weg dies zu tun, ist das Töten der Mitglieder der Gruppe, doch Genozid beinhaltet auch die Absicht, eine Gruppe ganz oder zum Teil durch andere Mittel zu zerstören, wie etwa durch Geburtenverhinderung in der Gruppe oder durch die Verursachung schwerer psychischer Schäden. Das bedeutet, daß beide Definitionen nicht notwendigerweise Mord beinhalten.

Dies war die Quelle vieler Verwirrungen. In den frühen Jahren seiner Verwendung wurde der Begriff „Genozid“ fast ausschließlich auf den jüdischen Holocaust, und dann vor allem durch die Arbeit armenischer Gelehrter, auf den Massenmord an den Armeniern durch das Regime der Jungtürken während des Ersten Weltkriegs (welches ich in Kapitel 20 in Death By Government beschrieb) angewendet. Doch Wissenschaftler erkannten in zunehmendem Maße, daß in Bezug auf den Tötungsaspekt eine Beschränkung des Konzepts auf wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer festen Gruppe Ermordete sogar Millionen von den Nazis Umgebrachte unberücksichtigt lassen würde. Denn wie konzeptualisieren wir die vorsätzlichen Tötungen eines Staates von Protestierern oder Dissidenten, die als Strafmaßnahme gedachte Erschießung unschuldiger Dörfler, das Erschlagen von Bauern, die Reis versteckten, oder die wahllose Bombardierung von Zivilisten? Wie konzeptualisieren wir das Zu-Tode-Foltern von Menschen in Gefangenschaft, das Zu-Tode-Arbeiten in Konzentrationslagern, oder das Verhungern-Lassen, wenn solches Töten aus Rache, aufgrund einer Ideologie oder deswegen erfolgt, weil der Staat nichts mit den betroffenen sozialen Gruppen zu tun hat?

Wegen solcher Fragen haben Gelehrte die Bedeutung von „Genozid“ erweitert. In einigen Fällen ist der Begriff erweitert worden, indem man das gezielte Töten von Menschen aufgrund ihrer Politik oder politischen Ansichten mit einschloß2, obwohl dies ausdrücklich von der Konvention zum Genozid ausgeschlossen wurde. Einige Gelehrte haben die Definition von Genozid auch erweitert, so daß auch jeglicher Massenmord durch einen Staat abgedeckt wurde3, andere haben das Konzept sogar noch viel weiter gefaßt, indem es auch die unabsichtliche Verbreitung von Krankheiten über eine eingeborene Bevölkerung während der Kolonialisierung durch Europäer, einschließlich der im amerikanischen Westen erfolgten, bezeichnet.4 Für all diese Gelehrte ist der wesentliche Aspekt von „Genozid“ das absichtsvolle Töten durch den Staat.

All dies ist verwirrend. Sowohl der Nicht-Tötungs-Aspekt von “Genozid” als auch die Notwendigkeit eines Konzepts, das auch andere Arten staatlichen Mordes abdeckt, führten dazu, daß alle folgenden Ereignisse Genozid genannt wurden: Die Ignorierung einer ethnischen hawaiianischen Kultur durch das öffentliche amerikanische Schulsystem auf Hawaii; eine Regierungspolitik, die es erlaubt, Kinder einer anderen Rasse als der eigenen zu adoptieren, die Versklavung von Afrikanern durch Weiße; die südafrikanische Apartheid; der Mord an Frauen durch Männer, Morde durch Todesschwadronen in Guatemala, Todesfälle im sowjetischen Gulag und natürlich auch der jüdische Holocaust. Die Zusammenfassung all dieser verschiedenen Taten oder Todesarten unter einem Begriff hat ein akutes konzeptionelles Problem geschaffen, das nach der Erfindung neuer Konzepte schreit, welche ausschließlich absichtlichen staatlichen Mord erfassen. So haben sowohl Barbara Harff5 als auch ich unabhängig voneinander das Konzept “Politizid” entwickelt, um vorsätzlichen staatlichen Mord an Menschen aufgrund ihrer Politik oder aus politischen Gründen zu bezeichnen. Doch dieses neue Konzept reicht noch nicht aus, da auch hiermit viele staatliche Massenmorde nicht etikettiert werden können, wie zum Beispiel das Zu-Tode-Arbeiten-Lassen von Kriegsgefangenen durch die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg oder die Ermordung von Schwarzafrikanern, die sich ihrer Versklavung widersetzten.

Über das Konzept “Massenmord” oder “Massaker” verfügen wir bereits im allgemeinen Sprachgebrauch. Trotz Unterschieden im Gebrauch bezeichnen beide die absichtliche und wahllose Ermordung einer großen Anzahl von Menschen durch staatliche Vertreter, wie etwa das Niederschießen unbewaffneter Demonstranten durch die Polizei oder wenn Soldaten Handgranaten in Gefangenenzellen werfen, bevor sie sich unter dem Druck feindlicher Truppen zurückziehen. Die Begriffe können auch wahllose Hinrichtungen von Zivilisten beinhalten wie etwa deutsche Repressalien nach Sabotage-Aktionen von Partisanen in Jugoslawien; das Zu-Tode-Arbeiten-Lassen von Gefangenen wie in den sowjetischen Bergwerkslagern von Kolyma; das Flächenbombardement von Städten wie die britisch-amerikanische Bombardierung von Hamburg 1943; die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki; oder von Soldaten begangene Greuel wie der Überfall und die Plünderung auf Nanking durch die Japaner 1937-38, wobei diese wahrscheinlich etwa 200.000 Menschen ermordeten.

Wir haben auch das Konzept “Terror” in Bezug auf staatliches Töten, dessen Bedeutung sich normalerweise auf die gezielte extralegale Hinrichtung, Ermordung, Entführung oder Für-Immer-Verschwindenlassen von Individuen erstreckt. Das bedeutet, daß die Tötung gezielt erfolgt. Dies mag der Fall sein bei der Liquidierung tatsächlicher oder potenzieller Oppositioneller oder bei sozialer Prophylaxe, wie Alexander Solschenizyn Stalins landesweite Eliminierungen unerwünschter Personen bezeichnete.6 Solches Töten mag auch der Absicht geschuldet sein, Angst unter der Bevölkerung zu verbreiten und somit deren Gehorsam und Unterwürfigkeit sicherzustellen.

Doch dann gibt es auch Morde, die nicht so einfach zu einem dieser Kennzeichen passen. Da gibt es zum Beispiel den Mord durch Quote, der von den Sowjets, den chinesischen Kommunisten und den Nordvietnamesen durchgeführt wurde. Was die sowjetischen und vietnamesischen Kommunisten angeht, so befahlen staatliche Stellen (oder die Partei) ihnen unterstellten Einheiten, eine bestimmte Anzahl von “Volksfeinden”, “Rechtsabweichlern” oder “Tyrannen” zu töten, wobei die genaue Ausführung dieses Befehls den betreffenden Einheiten überlassen wurde. Darüber hinaus siechten Millionen Menschen in Arbeits- oder Konzentrationslagern dahin nicht etwa wegen ihrer sozialen Identität, ihrer politischen Ansichten oder ihrer Person, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil sie im Wege standen, gegen irgendein drakonisches Gesetz verstießen, das Regime nicht ausreichend bejubelten, unbeabsichtigt den Führer beleidigten (zum Beispiel auf einer Zeitung saßen, die das Bild Stalins zeigten), oder einfach jemand waren, den man als Arbeitskraft brauchte (die Nazis zum Beispiel griffen unschuldige auf der Straße dahergelaufene Frauen in der Ukraine auf und deportierten sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland). Und da gibt es Hunderttausende von Bauern, die langsam an Krankheiten, Unterernährung, Überarbeitung und Hunger in Kambodscha starben, als die Roten Khmer sie unter Androhung der Todesstrafe dazu zwangen, in den kollektivierten Feldern zu schuften, und ihnen dabei buchstäblich die gesamte Ernte abnahmen und eine angemessene medizinische Versorgung verweigerten.

Auch wenn sie angewendet werden können, überschneiden sich darüber hinaus die Konzepte “Genozid”, “Politizid”, “Massenmord” oder “Massaker” und “Terror” und werden manchmal beliebig austauschbar verwendet. Es ist klar, daß man ein Konzept braucht, das alles kaltblütig geplante Töten umfaßt und das mit dem Konzept “Mord” für privates Töten vergleichbar ist.

Das Töten einer Person durch eine andere ist Mord, egal ob das Opfer schwarz oder weiß war, eine geliehene Summe nicht zurückzahlen wollte oder eine Beleidigung ausstieß. Es war Mord, wenn das Töten ein vorsätzlicher Akt war, oder die Person starb, weil der Täter auf rücksichtslose und mutwillige Weise ihr Leben mißachtete. Es spielt auch keine Rolle, ob das Töten aufgrund hoher moralischer Ziele, aus altruistischen Gründen oder im Dienste irgendeines anderen Ziels erfolgte – es bleibt nach westlichen und auch den meisten anderen Gesetzbüchern Mord (es sei denn, die Tötung ist durch den Staat autorisiert wie zum Beispiel bei rechtskonformen Hinrichtungen oder bei Militäreinsätzen). Und als Verbrechen ist Mord per definitionem auf den Akt beschränkt ist, jemand anderem auf irgendeine Art das Leben zu nehmen. Obwohl wir „Mord“ metaphorisch verwenden, wie zum Beispiel in der Redewendung “die Sprache ermorden”, so ist es dennoch kein Morddelikt, wenn man jemanden psychologisch verletzt, ihm sein Kind stiehlt oder ihm die Kultur raubt.

Als analoges Konzept für öffentlichen Mord, also für den Mord seitens im Auftrag handelnder staatlicher Vertreter, biete ich das Konzept Demozid an. Eine der Wortwurzeln dafür ist das griechische daimos für Volk; die andere ist die gleiche wie auch im Wort Genozid, welches vom lateinischen caedere für töten stammt. Die notwendige und hinreichende Bedeutung von Demozid ist ein absichtliches staatliches Töten einer unbewaffneten Person oder einer Gruppe von Menschen. Im Gegensatz zum Konzept des Genozids ist sie auf absichtliches Töten beschränkt und wird nicht erweitert auf Versuche, Kulturen, Rassen oder ein Volk durch andere Methoden als durch Mord zu eliminieren. Darüber hinaus beschränkt sich Demozid nicht auf die Tötungskomponente von Genozid oder Politizid, Massenmord oder Massaker, oder Terror. Es umfaßt sowohl all diese Tatbestände als auch jene, die von diesen nicht erfaßt werden, solange das betreffende Töten sich auf eine vorsätzliche Aktion oder Politik, ein vorsätzlicher Prozeß oder eine staatliche Einrichtung bezieht. Einzeln betrachtet, ist jede staatliche Aktion Demozid, die

 (1) ausgedacht wurde, um Menschen zu töten oder ihren Tod herbeizuführen

1.1.            aufgrund ihrer Religion, Rasse, Sprache, Ethnizität, Herkunft, Klasse, Politik, Aussage, Aktionen welche ausgelegt werden als gegen den Staat gerichtet oder als der Sozialpolitik zuwiderlaufend oder aufgrund ihrer Beziehung zu solchen Leuten,

1.2.            um einer Quote oder einem Requisitionssystem genüge zu tun

1.3.            zur Förderung eines Systems der Zwangsarbeit oder der Versklavung

1.4.            durch Massaker

1.5.            durch Auferlegung tödlicher Lebensbedingungen

1.6.            indem man Nicht-Kombattanten während eines Krieges oder bewaffneten Konflikts zur direkten Zielscheibe macht.

(2) welches den Tod aufgrund einer absichtlichen oder wissentlich rücksichtslosen und niederträchtigen Verachtung fremden Lebens (was praktisch auf absichtlich hinausläuft) herbeiführt, wie zum Beispiel durch

(2.1) tödliche Bedingungen in einem Gefängnis, einem Konzentrationslager, bei Zwangsarbeit, in einem Kriegsgefangenen- oder Rekrutierungslager
(2.2) tödliche medizinische oder wissenschaftliche Experimente an Menschen
(2.3) Folter oder Schläge
(2.4) angestifteten oder geduldeten Mord, oder Vergewaltigung, Plünderungen, wobei Menschen getötet werden;
(2.5) eine Hungersnot oder Epidemie, während welcher die staatlichen Behörden Hilfe zurückhalten oder wissentlich so handeln, daß die Wirkung noch todbringender ist
(2.6) todbringende Zwangsdeportationen und Vertreibungen

3) mit den folgenden Charakterisierungen und Klarstellungen:

(a) “Staat” beinhaltet auch de-facto-Herrschaft, wie zum Beispiel die Kommunistische Partei der Volksrepublik China: oder durch eine Rebellen- oder Kriegsherrenarmee über eine von ihr eroberte Region und Bevölkerung, wie die kurze Herrschaft moslemischer Uiguren (Republik Ost-Turkestan) über einen Teil der Provinz Sinkiang (1944-1946)
(b) ”Aktionen durch Staaten”  umfassen offizielle oder autorisierte Aktionen durch Staatsbeamte einschließlich Polizei, Militär oder Geheimdienste; oder entsprechende nicht-staatliche Aktionen (z.B. durch Briganten, Werbetrupps oder Geheimgesellschaften), die staatliche Zustimmung, Hilfe oder Akzeptanz erhalten;
(c) Klausel 1.1. enthält zum Beispiel das direkte Abzielen auf Nicht-Kombattanten während eines Kriegs oder bewaffneten Konflikts aus Haß oder Rache, oder um eine feindliche Region zu entvölkern oder um die Bevölkerung zu terrorisieren oder sie per Zwang zur Aufgabe zu drängen; dies würde, neben anderen Aktionen, auch das wahllose Bombardement oder die Beschießung von Städten beinhalten, oder Blockaden, die ein massenhaftes Verhungern bewirken;
(d)  „Beziehungen zu solchen Leuten“ (Klausel 1.1.) schließt ihre Verwandten, Kollegen, Mitarbeiter, Lehrer oder Schüler ein;
(e) (Klausel 1.4) schließt das massenhafte Töten von Kriegsgefangenen oder gefangenen Aufständischen ein.
(f) „Quotensystem” (Klausel 1.3) schließt das wahllose Aussuchen von Leuten zur Hinrichtung ein, um eine Quote zu erfüllen; oder das Verhaften von Leuten gemäß einer Quote, von denen einige dann exekutiert werden;
(g) „Requisitionssystem“ (Klausel 1.3) schließt ein, wenn man Bauern oder Farmern die gesamten Nahrungs- und Produktionsmittel abnimmt, was diese dem Hungertod ausliefert
(h) und von dieser Definition ausgenommen werden

(h.1) Hinrichtungen wegen international als Kapitalverbrechen angesehener Vergehen wie Mord, Vergewaltigung, Spionage, Verrat und dergleichen, sofern es keine Hinweise darauf gibt, daß solche Anschuldigungen nicht vom Staat konstruiert wurden, um die Beschuldigten hinzurichten;
(h.2) Aktionen, die gegen bewaffnete Zivilisten während einer Mob-Aktion oder eines Aufstands durchgeführt werden (zum Beispiel ist das Töten von Leuten, die Waffen in der Hand halten, kein Demozid)
(h.3) der Tod von Nicht-Kombattanten, die bei Angriffen auf militärische Ziele getötet werden, sofern das Primärziel militärisch ist (zum Beispiel bei der Bombardierung feindlicher Logistik).

Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über dieses Konzept in Relation zu den anderen oben erwähnten Konzepten, und plaziert diese innerhalb des Kontexts demozidaler Ursachen massenhaften Sterbens.

Demozid soll das Töten durch den Staat definieren, so wie es das Konzept „Mord“ für das individuelle Töten in einer Zivilgesellschaft tut. Hier ist die Absicht (Vorsatz) entscheidend. Das schließt auch praktische Absicht mit ein. Wenn ein Staat Tod durch rücksichtslose und niederträchtige Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben verursacht, sind die entsprechenden Todesfälle auf Absicht zurückzuführen. Wenn eine Mutter durch Fahrlässigkeit ihr Baby an Unterernährung sterben läßt, ist dies Mord. Wenn wir ein Mädchen in unserem Haus einsperren, sie dazu zwingen, den ganzen Tag lang eine auszehrende Arbeit zu verrichten, sie nicht einmal minimal ernähren und bekleiden und dabei zusehen, wie sie jeden Tag ein wenig stirbt, ohne ihr zu helfen, dann ist ihr unvermeidlicher Tod nicht nur unsere Schuld, sondern auch Folge unserer praktischen Absicht. Es ist Mord. So ähnlich war es, als zum Beispiel der sowjetische Staat politische Gefangene zwangsweise in Arbeitslager transportierte, und Hunderttausende von ihnen durch die Hand von Kriminellen oder Wächtern starben, oder durch Hitze, Kälte, unzureichend Nahrung und Wasser. Auch wenn nicht beabsichtigt (in der Tat gingen dem Regime dadurch Arbeitskräfte verloren), waren die Toten dennoch öffentlicher Mord. Es war Demozid.

Dort, wo es darüber hinaus keine klare konzeptuelle private Analogie zum Mord gibt, zum Beispiel bei der wahllosen Bombardierung städtischer Gebiete, habe ich versucht, der Genfer Konvention und den Genfer Protokollen zu folgen.7 Das Töten hilfloser Menschen in Zeiten von Krieg oder militärischer Aktionen unter Verstoß gegen diese internationalen Abkommen ist eine Verletzung internationalen Rechts, das so etwas als Verbrechen einordnet, und ist somit schon an sich Demozid. Daher ist die zwangsweise Inhaftierung von Kriegsgefangenen unter Bedingungen, die ihren Tod herbeiführen, Demozid, so wie auch Tod, der durch medizinische Experimente an ihnen verursacht wurde. Die wahllose Beschießung oder Bombardierung von Zivilisten ist ebenfalls Demozid, wie auch die zwangsweise Entfernung jeglicher Nahrungsmittel in besetzten Gebieten, was den Tod der Einwohner durch Verhungern bewirkt. Ebenso sind auch Nahrungsblockaden, welche den wahllosen Tod von Zivilisten verursachen, Demozid, wie etwa die groß angelegte britische Blockade der Mittelmächte während und nach dem Ersten Weltkrieg. Wie Artikel 15 des zweiten Zusatzprotokolls der Genfer Konvention bekräftigt: „Die Aushungerung von Zivilisten als Kriegsmittel ist verboten.“8

Ich muß mich diesbezüglich wiederum absolut klar ausdrücken, da in Kriegszeiten so viele Dinge stattfinden. Im Zusammenhang mit Krieg stehende Tötungen durch Militärkräfte, welche durch internationale Abkommen und Verträge direkt oder implizit verboten werden, sind Demozid, egal ob die betreffenden Seiten sie unterschrieben haben oder nicht. Sofern solches Töten ausdrücklich erlaubt ist, liegt kein Demozid vor. So ist der Tod von Zivilisten bei einer Bombardierung von Munitionsfabriken während des Zweiten Weltkriegs kein Demozid. Auch ist der Tod von Zivilisten kein Demozid, wenn durch Navigations- oder Bombenfehler oder durch Fehlfunktion von Geräten Bomben auf einer Schule oder einem Krankenhaus landen, außer es ist offensichtlich, daß die Bombardierung ohne Rücksicht und trotz eines hohen Risikos für solche zivilen Gebäude erfolgte. Auch ist der Tod von Zivilisten in einem bombardierten Dorf, unter welchem feindliche Bunker errichtet wurden, kein Demozid, auch nicht der Tod von Zivilisten, die ins Kreuzfeuer zwischen feindlichen Soldaten geraten, oder solcher Zivilisten, die getötet wurden, während sie willentlich Truppen dabei halfen, Nachschub oder Waffen zu befördern. Selten ist es einfach, solche Unterscheidungen zu treffen, doch die Zielrichtung dabei muß klar sein. Ich unterscheide zwischen Demozid in Kriegszeiten und Kriegstoten. Die letzteren sind solche Militärangehörige und Zivilisten, die in der Schlacht oder an schlachtbedingten Krankheiten und Hunger sterben. Die erstgenannten sind solche Opfer (welche Militärangehörige einschließen können, wenn etwa Kriegsgefangene massakriert werden) international geächteter Tötungen in Kriegszeiten, welche man Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nennen kann.

Was ist dann mit den amerikanischen Brandbombenabwürfen auf Tokyo oder den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki während des Zweiten Weltkriegs? Neulich erhielt ich einen Brief von einem Kollegen, der sich bekümmert darüber zeigte, daß ich die Toten solcher Angriffe als amerikanischen Demozid bewerte. Ich diskutiere dies ausführlicher in Statistics of Democide, doch hier möchte ich anmerken, daß dies eine wahllose Bombardierung von Zivilisten war und gemäß Artikel 48 des ersten Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen nicht rechtens wäre. Der Artikel lautet:

Um Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu gewährleisten, unterscheiden die am Konflikt beteiligten Parteien jederzeit zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten sowie zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen; sie dürfen daher ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten.9

Artikel 51 spezifiziert dessen Bedeutung:

Unterschiedslose Angriffe sind verboten. Unterschiedslose Angriffe sind

a) Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden,

b) Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können, oder

c) Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften dieses Protokolls begrenzt werden können und die daher in jedem dieser Fälle militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können.10

Und noch genauer:

Unter anderem sind folgende Angriffsarten als unterschiedslos anzusehen:

a) ein Angriff durch Bombardierung – gleichviel mit welchen Methoden oder Mitteln – bei dem mehrere deutlich voneinander getrennte militärische Einzelziele in einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet, in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, wie ein einziges militärisches Ziel behandelt werden ...11

Zusammengefaßt wird dieses ganze Buch hindurch ein Todesfall als Demozid bezeichnet, wenn er das absichtliche Töten einer unbewaffneten oder entwaffneten Person durch staatliche Vertreter in ihrer Eigenschaft als zuständige Stelle darstellt, welche eine staatliche Politik oder ein Oberkommando befolgt (wie im Beispiel der Vergasung der Juden durch die Nazis). Es ist auch Demozid, wenn diese Tötungen das Ergebnis solch staatlich autorisierter Aktionen sind, die unter rücksichtsloser und willentlicher Verachtung für das Leben der Betroffenen durchgeführt werden (wie das Einsperren von Leuten in Konzentrationslager, in denen Zwangsarbeit und Hungerrationen dazu angetan waren, den Tod der Insassen herbeizuführen). Es ist Demozid, wenn der Staat solche Todesfälle fördert oder die Augen davor verschließt, auch wenn diese Morde „inoffiziell“ oder durch private Gruppen durchgeführt werden (wie etwa im Falle der Todesschwadronen in Guatemala oder El Salvador). Und diese Todesfälle können auch Demozid sein, wenn die Staatsoberen absichtsvoll Umstände erlaubten, welche eine Fortsetzung des Massensterbens bewirkten und keine öffentliche Warnung ausgaben (wie bei den äthiopischen Hungersnöten in den 70ern). Alle außergerichtlichen oder Massenexekutionen stellen Demozid dar. Selbst gerichtliche Hinrichtungen können Demozid sein, wie die sowjetischen Schauprozesse in den späten 30er Jahren. Gerichtliche Hinrichtungen wegen „Verbrechen“, die international als trivial oder nicht-kapital angesehen werden, wenn zum Beispiel Bauern am Rande eines kollektiven Feld Korn pflücken oder ein Arbeiter einen gegen den Staat gerichteten Witz erzählt, oder ein Ingenieur sich verrechnet, sind ebenfalls Demozid.

Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß bei der überwältigenden Mehrheit der entsprechenden Ereignisse und Episoden Demozid unzweideutig ist. Wenn unter dem Befehl der obersten Staatsgewalt Soldaten Dörfler in ein Feld treiben und sie dann mit Maschinengewehren niedermähen, sollte es keine Definitionsprobleme geben. Wenn eine vom Staat bewaffnete Gruppe zu diesem Zwecke die Lehrer und Schüler aus ihrer Schule treibt, dann die Angehörigen eines besonderen Stamms sich aufreihen läßt und sie dann erschießt, dann ist das sicherlich Demozid. Wenn durch staatliche Behörden alle Lebensmittel systematisch aus einer Region entfernt werden und eine Nahrungsblockade in Kraft gesetzt wird, dann müssen die daraus erfolgenden Todesfälle Demozid sein. Es ist traurig zu sagen, daß die meisten Fälle staatlichen Tötens in diesem Jahrhundert so klar sind. Die Anzahl der Toten wird zwar für viele dieser Fälle nicht nur ungenau zu ermitteln sein, was aber nicht für die betreffenden Übeltäter und deren Absicht gilt.

ANMERKUNGEN

* Aus dem vom Vorverleger herausgegebenen Manuskript von Kapitel 2 von R.J. Rummels Death By Government, 1994. Das vollständige Buch, sein Inhaltsverzeichnis, seine Abbildungen und Tabellen und der Text des Vorworts, sind hier einzusehen.


1. Lemkin (1944, S. 79).
2. Siehe zum Beispiel Fein (1984); Kuper (1981) und Porter (1982).
3. Siehe zum Beispiel Chalk and Jonassohn (1988); Charny (1991).
4. Siehe Stannard (1992).
5. Siehe Harff and Gurr (1988).
6. Solschenizyn (1973).
7. Darüber habe ich besonders nützliche Kommentare gefunden bei Bothe und Partisch (1982)
8. Bothe und Partisch (1982, S. 679).
9. Bothe und Partisch (1982, S. 280-281).
10. Ibid., S. 297.
11. Ibid.

 

 

Übersetzung: David Schah