Macht tötet


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Über Rudolph Rummel

Interview mit Rudolph Rummel

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Übersetzte Texte:

a) Bücher:

Macht tötet, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 1

Tod durch Staat, Kapitel 2

Leben retten, Kapitel 1

Leben retten, Kapitel 8

b) Artikel:

Genozid

Demokratische Friedensuhr

Demozid und Krieg ausmerzen

Demozid nach dem 2.Weltkrieg

 

 

Originaltitel des Buchs:
R.J. Rummel: POWER KILLS: Democracy as a Method of Nonviolence. New Brunswick, N.J.: Transaction Publishers, 1997

Kapitel 1: Zusammenfassung und Schlußfolgerungen *

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„Die Lust an der Macht ist die abscheulichste aller Leidenschaften.“
Tacitus

„Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.“
Lord Acton

„Nicht die Macht selbst korrumpiert absolut, sondern die Legitimation des Willen zur Macht.“
Richard Howard Stafford Crossman

„Macht tötet, absolute Macht tötet absolut.“
dieses Buch

Krieg war stets eine Geißel unserer Spezies, einer der apokalyptischen Reiter. Er hat viele Millionen von uns vernichtet und viele weitere permanent in Furcht und Schrecken versetzt. Im Laufe allein meines Lebens habe ich mein eigenes Land, die Vereinigten Staaten, im Zweiten Weltkrieg, in Korea, Vietnam und am Persischen Golf kämpfen sehen, mit kleineren militärischen Aktionen oder Interventionen in der Dominikanischen Republik, im Libanon, in Libyen, Panama, Grenada, Irak und Bosnien. Daß dies Töten ein Ende nehmen würde für uns alle, daß wir eines Tages den Krieg besiegen könnten, blieb ein Traum.

Friedenspläne und Friedensentwürfe, weltweite Abkommen und Modelle internationaler Organisationen wurden geschmiedet, um Kriege zu beenden. Kriege wurden gründlich studiert und erforscht, ihre Ursachen und Bedingungen analysiert, Lösungsvorschläge unterbreitet. Erziehung, Kulturaustausch, wirtschaftliche Entwicklung, Sozialismus, Internationalismus, internationaler Sport, Freihandel, funktionsfähige Organisationen, bessere Ausbalancierung von Macht, die Kunst der Diplomatie, Abschreckung, Krisenmanagement, Waffenkontrolle, Weltregierung, Friedensforschung und einiges mehr haben ihre jeweiligen Befürworter. All das wurde bis zu einem gewissen Ausmaß versucht oder erreicht.

Wären Krieg und andere Arten internationaler Gewalt die einzige Ursachen für Massensterben, dann wäre das schon genug Grund genug, größte Anstrengungen zu unternehmen, diese auszumerzen, doch zu diesem Gemetzel gesellt sich auch noch die innerstaatliche Gewalt gegen die eigenen Mitbürger. Blutige Unruhen, Revolutionen, Guerillakriege, Bürgerkriege, tödliche Staatsstreiche, Terrorismus und ähnliches haben ebenfalls Millionen von Opfern gefordert. Und auch für diese zweite Plage der Menschheit waren die Lösungsansätze nicht weniger kreativ und unterschiedlich: Wir sollen Armut beseitigen, gegenseitiges Verständnis fördern, menschliche Werte lehren, Regierungswechsel erleichtern, den Staat dezentralisieren, Minderheitenrechte stärken, Konfliktlösungen institutionalisieren und vieles mehr. Doch während ich dies schreibe haben wir immer noch blutige Konflikte in Ruanda, Burundi, Sudan, Somalia, Angola, Afghanistan, Sri Lanka, Myanmar (Burma), Irak, in der Türkei und einem Dutzend oder mehr anderer Länder.

Einige beispielhafte Fälle haben sich in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt wie der Holocaust und die Völkermorde in Bosnien und Ruanda. Doch das viel größere Ausmaß solcher Gewalt wird bislang verkannt. Massenmord und Genozid, zusammengenommen bezeichnet als Demozid, ist stets die schlimmste Menschheitsplage gewesen. Demozid hat im 20. Jahrhundert nicht nur einige Millionen, sondern Hunderte Millionen von Menschen das Leben gekostet. Er wirkte wie eine Neuauflage der mittelalterlichen Pest, nur daß der Tod diesmal von Menschen geplant und ausgeführt wurde. Die Erkenntnis über das Ausmaß dieser Schlächterei ist so frisch, daß abgesehen von den bekannten Mitteln gegen Krieg und innere Gewalt erst in jüngster Zeit allgemeine Lösungsvorschläge zur Bekämpfung dieser Seuche unternommen worden.

Das Ausmaß an Massenmord in Krieg, inländischer Kollektivgewalt und Demozid in Gegenwart und Geschichte ist nicht nur niederschmetternd, sondern gibt auch wenig Anlaß zur Hoffnung auf Besserung. Schließlich ist dieses Morden der Stoff, aus dem Geschichte besteht: Die Mongolenstürme, der Dreißigjährige Krieg, die Napoleonischen Kriege, die beiden Weltkriege, das Gemetzel der Kreuzzüge, das Massensterben der Sklaven, die Gemetzel des Taiping-Aufstands. In einigen Fällen brauchen wir nur einen Namen, um uns Schreckensbilder von Massenmorden ins Gedächtnis zu rufen: Dschingis Khan, Iwan der Schreckliche, Stalin, Hitler, Pol Pot. Wir brauchen nur Namen, Orte und Datumsangaben im Werk des Geschichtsschreibers Thukydides „Der Peloponnesische Krieg“ mit denen unserer Zeit auszutauschen, um das ganze Geschehen aktuell werden zu lassen.

Wie kann man also auch nur annehmen, daß es ein Mittel gegen Krieg gibt? Alle vorgebrachten Lösungen müssen wie bloße Sehnsüchte von Idealisten anmuten. Für solche, die historische Erkenntnisse berücksichtigen, scheint es lediglich möglich zu sein, einen bestimmten Krieg abzumildern oder in einigen Fällen zu verhindern. Das gleiche gilt für die Lösungen gegen innerstaatliche Gewalt. „Laßt uns realistisch sein“, sagt man oft, „Gewalt, ob gegen äußere oder innere Feinde, ist altes Menschheitserbe. Wir mußten stets damit leben, und wir werden stets damit leben müssen.“ Und einige werden argumentieren, daß Kriege manchmal nötig sind, wenn die Alternativen dazu noch schrecklicher sind, wenn etwa ein Land droht, von einem fremden Staat oder einer fremden Ideologie erobert zu werden.

Und dennoch ist es die schwere Aufgabe dieses Buches aufzuzeigen, daß jene „Realisten“ falsch liegen. Falsch in Bezug auf Krieg und kleinere internationale Auseinandersetzungen. Falsch in Bezug auf Gewalt innerhalb eines Staates und falsch in Bezug auf Völkermord und Massenmord. Es gibt eine Lösung für jedes dieser Probleme, und die Lösung ist immer die selbe: Die Förderung demokratischer Freiheit und die Demokratisierung staatlicher Gewalt. Durch einen Staat begangener Massenmord ist die Folge einer ungeteilten und verantwortungsfreien Zentralgewalt. Oder um es mit dem Titel dieses Buches auszudrücken: Macht tötet.

Diese Lösung wurde eigentlich schon seit Jahrhunderten in der einen oder anderen Form vorgebracht und war Bestandteil der klassisch-liberalen Sicht auf den Staat: Der Staat, der am wenigsten regiert, regiert am besten. Und Freiheit beflügelt Frieden und Wohlstand. Doch Fachleute und Analysten gleichermaßen waren bald davon überzeugt, daß dies nur idealistische Vorstellungen seien, zumal vor allem auch die Demokratien selbst unter den Hammerschlägen von Sozialisten jeglicher Couleur so kriegerisch anmuteten, daß es in zunehmendem Maße schien, als ob der eigentliche Kern dieses liberalen Denkens, nämlich der Kapitalismus, auf inhärente Weise kriegerisch und die Ursache aller Gewalt sei.

Es gibt jedoch ein wiederaufkeimendes Interesse an dieser Lösung, und dies vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff Demokratie, jedoch ohne das geistige Gepäck, das der klassische Liberalismus der Freiheit auf den Weg gegeben hat. Dieses erneute Interesse ist sowohl theoretischer wie empirischer Art. Beides ist das Ergebnis aus theoretischen Arbeiten über internationale Beziehungen und über Demozid sowie von Versuchen, die Behauptung empirisch zu widerlegen, daß Demokratien wenig friedvoller seien als andere Regime dies untereinander und im allgemeinen seien. Diese empirischen Arbeiten stellen die intensivste und umfangreichsten aller Studien über Krieg, innerstaatliche Gewalt und Demozid dar. So sind alle dokumentierten Kriege seit der Zeit der klassischen Griechen, in welchen Demokratien beteiligt waren, detailliert studiert worden. Alle möglichen historischen Fälle, in denen Demokratien miteinander Krieg geführt haben sollen, sind mikroskopisch genau untersucht worden. Alle Fälle von Demozid im 20. Jahrhundert sind Gegenstand intensiver Forschungen in Bezug auf Macht und Demokratie gewesen. Sogar Stammeskriege innerhalb vorindustrieller Gesellschaften sind studiert worden, um zu ergründen, ob demokratischere Gesellschaften weniger anfällig für Gewalt waren. Darüber hinaus wurden auch andere mögliche Faktoren untersucht, die eine Rolle für die indirekt proportionale Beziehung zwischen Demokratie und Gewalt oder für die geringe Kriegsneigung zwischen Demokratien spielen könnten, wie etwa die geographische Distanz, d.h. das Fehlen gemeinsamer Grenzen zwischen Demokratien. So hätten zum Beispiel Faktoren wie die wirtschaftliche Entwicklung, ein gemeinsamer Feind oder strukturelle Ähnlichkeit ebenfalls die geringe Kriegsneigung zwischen Demokratien erklären können. Doch eine sorgfältige empirische und vergleichende Forschung hat ergeben, daß dies nicht der Fall war.

Daß es in der Geschichte bislang nur wenige Demokratien gab, mag als simple Erklärung dafür hinhalten, daß Demokratien friedvoller erscheinen. Doch wo immer die Datenlage eine Wahrscheinlichkeitsrechnung erlaubt – oft in Bezug auf Krieg sogar über zwei Jahrhunderte hinweg sowie für andere Arten von Gewalt während des 20. Jahrhunderts – sind die Ergebnisse durchweg recht signifikant. In einigen Studien wurde beispielsweise eine indirekt proportionale Beziehung zwischen Demokratie und Krieg in einigen Fällen bei eins zu tausend oder sogar zu einer Million ermittelt. Es ist auch wichtig zu erwähnen, daß viele der Forscher anfänglich sehr skeptisch waren, daß sich ein solcher Befund herausstellen würde. Einige Forscher wiederum waren sogar so sehr davon überzeugt, daß die zu untersuchende Hypothese falsch sei, daß sie in ihren Schlußfolgerungen ihren eigenen Ergebnissen widersprachen.

Für Wissenschaftsphilosophen haben wir es hier mit einem idealen Fall von aktiver Wissenschaft zu tun. Wir haben eine lange schlummernde Hypothese und zunächst sehr begrenzte Überprüfungen derselben. Wir haben Forscher, die unabhängig voneinander diese Hypothese aufstellen. Wir haben eine Widerlegung dessen, was man gemeinhin über Krieg und andere Formen der Gewalt glaubte. Wir haben eine Replik nach der anderen, welche in der Summe einen Konsens und einen systematischeren wissenschaftlichen Erklärungsansatz zu den Befunden ergeben.1) Wir haben also eine Vielzahl verschiedener Studien von unterschiedlichen Forschern, die jeweils unterschiedliche Methoden, Daten und Definitionen verwenden. Alle sind im allgemeinen zueinander konsistent, wie wir im ersten Teil des Buches zeigen werden.**

Was ist nun speziell zum Thema Demokratie und Gewalt entdeckt oder verifiziert worden? Erstens: Etablierte Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander und wenden selten auch nur geringfügige Gewalt gegeneinander ein. Die Beziehung zwischen Demokratie und internationalem Krieg ist eine der meisterforschten Gebiete, und alle, die diesbezüglich Untersuchungen anstellten, kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß Demokratien nicht gegeneinander kämpfen. Bei möglichen Ausnahmen von dieser Regel, wie der Krieg zwischen Großbritannien und den USA 1812 oder der Spanisch-Amerikanische Krieg, haben wir es mit Fällen zu tun, in denen es sich entweder nicht um echte Demokratien handelte, oder zumindest eine der beteiligten Demokratien sich kurz zuvor erst formiert hatte oder nur am Rande demokratisch war. Viele Fragen sind zu diesen Befunden aufgeworfen worden, und ich habe versucht, die gängigsten im Anhang 1.1 in dieser Zusammenfassung zu beantworten.

Zweitens: Je demokratischer zwei Nationen sind, desto unwahrscheinlicher sind Krieg oder geringfügigere Gewalt zwischen ihnen. Es gibt eine Skala des Demokratiegrads, an deren einem Ende zwei makellose Demokratien ohne jegliche Wahrscheinlichkeit eines gegenseitiges Krieges sowie fast ohne Wahrscheinlichkeit geringfügiger Gewalt rangieren, und auf der anderen Seite stehen die undemokratischsten, totalitären Nationen, welche die größte Chance auf gegenseitigen Krieg und Gewalt aufweisen. Dieser Befund zeigt, dass Demokratie nicht nur eine simple Dichotomie – Demokratie gegen Nicht-Demokratie – sondern ein Kontinuum darstellt. Die sich daraus ergebenden Implikationen reichen sehr weit und werden später erörtert.

Drittens: Je demokratischer eine Nation ist, desto geringer ist auch seine allgemeine Neigung zur Gewalt. Dieser Befund ist unter Forschern besonders umstritten, doch ich werde in Kapitel 4 detailliert beschreiben, daß es eigentlich keinen Dissens darüber geben kann, und daß die Beweislage, selbst in den Studien der Zweifler, klar ist. Viele dieser Forscher, so werde ich zeigen, haben Krieg und Gewalt mit dem Parameter seiner Häufigkeit definiert und sind daher in die Irre geführt worden. Sie haben nämlich sehr kleine Kriege mit totalen Kriegen wie den beiden Weltkriegen gleichgesetzt, und sie haben länderbezogen auch einige Dutzende von Kriegstoten mit mehreren Millionen Kriegstoten gleichgesetzt.

Viertens: Je demokratischer im allgemeinen eine Nation ist, desto weniger ist es anfällig für kollektive Gewalt im Inneren. Studien, welche die relevanten Variablen und Indikatoren beinhalten, unterstützen diesen Befund empirisch. Und jene Studien, die ich selbst zur Untersuchung dieser Frage durchgeführt habe, haben ebenfalls allesamt einen positiven Befund für diese These ergeben.

Und schließlich kann man feststellen: Je demokratischer eine Nation ist, desto geringer ist seine Demozid-Rate. Auch wenn in der einschlägigen Literatur die Demokratie schon länger als Mittel zur Reduzierung von Genozid und Massenmord angesehen worden ist, gab es bis vor kurzem keine Daten, welche diese These empirisch überprüfen. Tatsächlich bin ich bislang der einzige, der diese Frage explizit untersucht hat und feststellte, daß Demozid sich in hohem Maße indirekt proportional zu Demokratie verhält. Dieser Befund hat auch Bestand, wenn man Gegenkontrollen in Bezug auf wirtschaftlichen Entwicklungsgrad, Bildung, Stärke des Landes, Kultur, sowie ethnische und religiöse Unterschiede vornimmt. Fallstudien der extensivsten Demozide wie in der Sowjetunion, im kommunistischen China, in Nazi-Deutschland und in Kambodscha unterstützen diese Feststellung.

Insgesamt werde ich zeigen, daß es überwältigende Belege für dieses allgemeine Prinzip gibt: Demokratie ist eine Methode der Gewaltlosigkeit. Demokratie ist eine praktische Lösung gegen Krieg und alle anderen Arten von kollektiver Gewalt, die von politischen Regierungen ausgehen. Demokratie wird Gewalt an sich zwar nicht beenden, aber im Vergleich zu allen anderen Regierungsformen ist Demokratie ein Gewaltminimierer. Und verglichen zu seinen Gegenparts, den totalitären Regierungen, durch die Millionen durch Demozid, Rebellionen und Angriffskriegen sterben können, ist Demokratie geradezu ein Verhinderer solcher Todesarten.

Wie lässt sich dies erklären? Welche Theorien gibt es für diesen Befund? Eine oberflächliche Erklärung, aber wahrscheinlich die überzeugendste und auch recht alte, zumindest auf Kant zurückgehende Erklärung ist die, daß dort, wo der Staat aus repräsentativen Entscheidungsträgern besteht, diese davor zurückschrecken, einen Krieg gegen den Willen der Öffentlichkeit zu führen. Denn schließlich, so wird argumentiert, will die Öffentlichkeit nicht die schrecklichen Kosten für einen Krieg tragen, zumindest was Menschenleben angeht. Und tatsächlich läßt sich dies als guter Grund dafür heranziehen, daß Demokratien nicht so leicht Krieg anzetteln können, selbst wenn sie manchmal andere Demokratien gegen einen Angriff schützen wollen. Ein Beispiel dafür ist die extreme Zurückhaltung der Vereinigten Staaten, Großbritannien in Zeiten höchster Gefahr, bei der Schlacht um England im Jahre 1940, beizustehen. Doch wie die Geschichte der USA, Großbritanniens und Frankreich sehr wohl zeigen, können auch demokratische Öffentlichkeiten hurrapatriotisch werden und auf militärische Aktionen drängen oder diese unterstützen.

Eine tiefergehende Erklärung basiert hauptsächlich auf zwei Faktoren: Gegendruck und demokratische Kultur. Der erste Faktor besagt, daß eine demokratische Struktur, also die Instanzen einer demokratischen Regierung, ein System von „checks and balances“ (Gegenseitige Kontrolle von demokratischen Verfassungsorganen) in Bezug auf Machtanwendung sowie Hindernisse aufgrund der politischen und sozialen Vielfalt entwickeln und schaffen. Diese legen Entscheidungsträgern Fesseln an, und diverse Interessen beschneiden und behindern sich gegenseitig, so daß der starke Wille zur Gewaltanwendung nicht so leicht entstehen kann. Das gilt in besonderem Maße für Beziehungen zwischen zwei Demokratien, welche eine Fülle gemeinsamer Bindungen und Interessen aufweisen.

Das Argument der demokratischen Kultur geht davon aus, daß Demokratie der Fertigkeiten der Versöhnung und des Kompromisses bedarf, einer Haltung, die Unterschiede toleriert und bereit ist, auch Verluste hinzunehmen. Die Herausbildung einer solchen demokratischen Kultur macht eine gut eingeführte Demokratie aus, sie beeinflusst die inneren und äußeren Beziehungen eines Landes. Wenn Demokraten einander als Demokraten anerkennen, dann haben sie erkannt, daß die jeweils anderen zu Verhandlungen und Kompromissen bereit sind und Konflikte friedlich lösen wollen. Wenn jedoch Diktatoren und Totalitaristen herrschen, dann vollzieht sich Herrschaft durch Zwang und Gewalt, Befehl und Verordnung. Dieses Art von System bringt nicht nur besonders aggressive und herrschsüchtige Persönlichkeiten hervor, sondern belohnt auch Betrug, Gewalt und vor allem Siege. Wenn ein Diktator mit einem Diktator verhandelt, wird daraus ein Kampf um Dominanz und Sieg.

Jenseits von entsprechenden Instanzen und Kultur gibt es jedoch eine noch tiefgehendere und umfassendere Erklärung für den demokratischen Frieden. Diese Erklärung hat mit sogenannten sozialen Feldern und ihren Gegenfeldern zu tun. Ein soziales Feld ist eine spontane Gesellschaft, in der Individuen interagieren. Ihr Hauptmerkmal ist die Freiheit der Menschen, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und zueinander Erwartungsbeziehungen, also eine soziale Ordnung, aufzubauen, die aus ihren Bedürfnissen, Fähigkeiten und Wünschen besteht. Die Herrschaft funktioniert durch Austausch, das politische System ist demokratisch, und die demokratische Regierung ist nur eine von vielen Gruppen und Machtpyramiden in diesem sozialen Feld.

Innerhalb dieses Feldes gibt es eine kreative Vielfalt von kleinen Gruppen, Vereinigungen und Vereinen, Unternehmen und anderen. Es gibt somit vielfältige Überlappungen und Überschneidungen und Gegengewichtsbeziehungen, welche Gewalt isolieren und minimieren. Eine solche auf Austausch basierende Ordnung bringt notwendigerweise auch eine Kultur des Austausches hervor, also Normen für Verhandlungen, Übereinkünfte, Konzessionen, Toleranz und den Willen, weniger zu akzeptieren als man ursprünglich wollte. Dieses Feld ist nicht auf eine einzelne demokratische Gesellschaft beschränkt, sondern es umfasst alle Demokratien. Alle werden als Mitglieder des selben Universums mit gleicher Moral und gleichen Verhaltensnormen wahrgenommen. Die Kräfte einer spontanen Gesellschaft, die Gewalt zurückhalten, funktionieren genauso, wenn es darum geht, Gewalt zwischen demokratischen Regierungen innerhalb ihres sozialen Feldes zu minimieren und Krieg zwischen ihnen so unwahrscheinlich zu machen wie einen Krieg zwischen IBM und Apple.

Das Gegenteil einer solchen Ordnung ist das soziale Antifeld. Dies ist eine Gesellschaft, die in eine hierarchische und aufgabenorientierte, von Befehl und Gehorsam beherrschte Organisation verwandelt wurde. Es trennt ihre Mitglieder in solche, die herrschen, von solchen, die gehorchen müssen, und schafft somit eine Kluft zwischen den Menschen und Lebensbereichen, was einen latenten Konflikt bewirkt, der zu Gewaltausbrüchen führen kann. Spontanes Verhalten kann zwar noch auftreten, und es gibt noch so etwas wie ein soziales Feld, doch es ist auf die Winkel und Schlupflöcher der Organisation beschränkt, in denen der zentrale Befehl umgangen werden kann. Viele politische Regierungen haben solche Gesellschaften geschaffen, und tatsächlich sind die meisten und repressivsten von ihnen mit ihren Schöpfern identifiziert worden: Hitler, Stalin, Pol Pot, Mao. Diese haben ihre Gesellschaften völlig neu strukturiert, um nationale Größe, rassische Reinheit oder die „Diktatur des Proletariats“ und Kommunismus zu erlangen. Dies war die jeweilige Aufgabe, die Umgestaltung der Gesellschaft war das Mittel, und der große Führer auf dem Gipfel der Macht lieferte die nicht infragezustellende Herrschaft.

Die Basis solcher Antifelder und in Organisationen verwandelte Gesellschaften ist Zwang. Die operativen Rahmenbedingungen sind Repression, Kontrolle, Bespitzelung, Konzentrationslager, Folter und Hinrichtungen. Die Triebkraft des Gehorsams ist die Angst. Und die charakteristische Regierungsform eines solchen Antifelds ist totalitär. Jene Totalitaristen, die in einem solchen Antifeld herrschen oder amtieren, sind es nicht gewöhnt, mit Untergebenen Kompromisse einzugehen oder mit ihnen zu verhandeln. Sie pflegen eine Kultur des Kommandos und des bedingungslosen Gehorsams und ihr modus operandi ist nackte Gewalt. Sie herrschen mit der Hilfe von Angst. Bei allen größeren Angelegenheiten können sie gar nicht verlieren, weil sie mit Tod oder Gefängnis drohen können. In extremen Fällen wie unter Stalin, Mao oder Pol Pot und deren Schergen, kann Widerstand auch den Tod der ganzen Familie oder sogar von Freunden und Bekannten bedeuten. Eine solche Kultur schätzt keine demokratischen Verhandlungen mit anderen Regierungen. Sie schätzt vielmehr Desinformation, Täuschung und Aggression.

Darüber hinaus gibt es wenig Vielfalt und keinen bedeutenden, von der Regierung unabhängigen Pluralismus. Jedwede Religions- und Geschäftstätigkeit, Gewerkschaften, Erziehung, Handel, Sport und kulturelle Aktivitäten sowie alle möglichen Quellen unabhängiger Gegengewichte werden von oben kontrolliert. In einigen extremen Fällen können sogar Gelächter, Händchenhalten oder Koseworte gefährlich sein, sofern dies nicht ausdrücklich erlaubt ist, wie etwa in Kambodscha unter Pol Pot. In so einem Antifeld gibt es keine Widerrede und keine konkurrierenden Interessen. Alles ist eine Frage von „die da oben“ oder „wir“.

Der Schlüssel zum Verständnis eines Antifelds ist Macht, das heißt die Dominanz einer undifferenzierten und verantwortungslosen Zentralmacht. Es ist diese Macht, die innere Rebellionen und gewalttätige Opposition provoziert. Es ist diese Macht, die Menschen zu Millionen massakriert, allein etwa 61 Millionen im Falle der Sowjetunion. Mit anderen Worten: Macht tötet.

Auf einer grundlegenden Ebene haben wir also einen Gegensatz zwischen Freiheit und Macht. Dies ist ein Gegensatz zwischen einer spontanen Gesellschaft und einer Gesellschaft, die in eine hierarchische Organisation verwandelt worden ist. Es ist der Gegensatz zwischen sozialem Feld und Antifeld. Das bedeutet nicht, daß man die Bedeutung der Kultur und des Gegendrucks und den Einfluß der öffentlichen Meinung zur Erklärung des demokratischen Friedens abstreitet. Es bedeutet vielmehr, daß diese Faktoren soziale Kräfte darstellen, deren Vorhandensein oder Fehlen am besten verstanden werden kann als die Freiheit einer demokratischen und spontanen Gesellschaft bzw. als einer Kommandomacht, die straff organisiert ist.

Wir schließen also mit dieser Erklärung ab: Demokratie ist eine nicht-gewalttätige Methode, weil demokratische Freiheiten eine spontane Gesellschaft schaffen, deren Kultur Verhandlungen und Kompromisse befördert, und deren soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Vielfalt und deren Querbeziehungen Gewalt verhindert. Gewalt ist ein Produkt des Gegenteils der demokratischen Freiheit, also der massiven Anwendung von Zwang durch totalitäre Regime, welche die Gesellschaft organisieren und die Menschen zum Erreichen bestimmter Ziele mobilisieren wollen: Rassische Reinheit, Sieg in einem Krieg, nationale Größe, wirtschaftlicher Fortschritt oder Kommunismus. Dazwischen liegen jene Gesellschaften, die von autoritären Regimen geführt werden, die ihren Bürgern mehr oder weniger Freiheit gewähren und entsprechend gewalttätiger als Demokratien aber weniger gewalttätig als totalitäre Regime sind. Es läßt sich also eine Skala der Gewalt aufstellen: Je mehr zentrale Macht es gibt, desto umfangreicher ist das Töten. Macht tötet, und absolute Macht tötet absolut.

Die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen sind offensichtlich. Wenn Demokratie eine Methode ist, Gewalt zu verhindern, wenn sie ein Mittel gegen Krieg, inländische kollektive Gewalt und Demozid darstellt, dann sollten wir demokratische Freiheiten fördern.2) Das heißt nicht, dass Demokratie durch Gewalt anderen Nationen aufgezwungen werden sollte. Das heißt auch nicht unbedingt, daß alle Völker demokratische Freiheiten ohne Rücksicht auf ihre eigene Kultur oder Religion übernehmen sollten. Denn schließlich geht es auch um die Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft. Auch wenn Gewaltlosigkeit ein zentrales Prinzip dieser Gerechtigkeitsvorstellung einer Gesellschaft sein sollte, kann es sein, daß einige Völker beispielsweise einen autoritären Staat oder eine Staatsreligion wie den Islam einer demokratischen Freiheit vorziehen, selbst wenn dies mehr Gewalt nach sich zieht.

Ich denke jedoch, daß die Entscheidung über die Art der Gesellschaft nicht einer nationalen Elite obliegen sollte. Ich kann nicht akzeptieren, wenn eine herrschende Elite demokratische Rechte als westliche Erfindung verurteilt, die angeblich nicht zur Kultur des betreffenden Landes paßt. Dies sollten die Menschen selbst entscheiden, nicht jedoch deren nicht-repräsentative Elite. Ein Plebiszit, ein Referendum oder eine demokratische Wahl sollten die Basis für die Entscheidung bilden, ob ein Volk demokratisch regiert werden möchte.

Es gibt eine Frage, die viele Leser verstören wird: Können wir wirklich vorhersagen, daß eine demokratische Welt eine friedlichere Welt sein wird? Während man aus vergangenem Weltgeschehen zwar nicht exakt die Zukunft ableiten kann, ist die Geschichte doch die beste zur Verfügung stehende Basis, um empirisch gesehen einen Anhaltspunkt dafür zu haben, was wir tun sollten, ganz abgesehen von den Fragen der Ethik und der Werte. Doch es kann vielleicht sein, daß eine durchweg demokratische Welt neue Bedingungen schafft, die der Ausübung extremer Gewalt förderlich sind. Wir kennen die Zukunft ja nicht und können eine solche Möglichkeit nicht ausschließen. Doch der Wert einer Theorie, welche die Vergangenheit erklärt, besteht darin, daß sie auch gute Gründe dafür liefert, daß die Zukunft sich aus der Vergangenheit fortschreiben läßt. Die Erkenntnisse in Bezug auf freie Gesellschaften geben stringente Hinweise darauf, daß auch in einer zukünftigen freien Gesellschaft das Ausmaß an Gewalt minimal sein dürfte.

Außerdem gibt es da das Argument von Immanuel Kant: Wenn eine Hypothese theoretisch und empirisch vernünftiger ist als konkurrierende Hypothesen, und moralisch am wünschenswertesten, dann sollten wir in unserem Handeln und in unserer Politik so tun, als sei sie wahr. Wie der Politikwissenschaftler Bruce Russett über die Tatsache, daß Demokratien sich nicht bekriegen, schreibt, daß "das Verständnis der Quellen demokratischen Friedens den Effekt einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung haben kann. Sozialwissenschaftler kreieren Realität manchmal ebenso wie sie sie analysieren. Soweit Normen Verhaltensweisen steuern, unterstützt die Wiederholung solcher Normen deren Wirksamwerden. Wiederholung von Normen in Form deskriptiver Prinzipien kann dazu beitragen, sie wahr zu machen. Wiederholung der Aussage, daß Demokratien einander wohl kaum bekämpfen, kann die Wahrscheinlichkeit verstärken, daß sie sich nicht bekämpfen. Es ist eine empirische Tatsache, daß Demokratien sich kaum bekämpfen. Sie brauchen dies nicht zu tun, da sie alternative Methoden der Konfliktlösung anwenden können, die weniger Kosten verursachen als ein gewaltsamer Konflikt. Eine Norm, die besagt, daß Demokratien sich nicht bekriegen sollten, wird damit klug untermauert und verstärkt umgekehrt den empirischen Befund seltener gewaltsamer Konflikte."3)

Unsere lange Geschichte von Krieg, Revolution und Massenmord, die auf älteste Zeiten zurückgeht, ist nun an diesem Punkte angelangt. Wir haben nun eine Lösung in Reichweite. Die Frage wird jetzt eine der Implementierung. Wie schützen und fördern wir Freiheit am besten? Wie kontrollieren und minimieren wir Macht? [für meinen Versuch, dies zu beantworten, vgl. „An Enlightened Foreign Policy“.]

 

*aus dem Manuskript vor der Verlagsveröffentlichung, Kapitel 1 von R.J. Rummel, Power Kills: Democracy as a Method of Nonviolence (Macht Tötet: Demokratie als Methode der Gewaltlosigkeit). Zur Hauptreferenz von Power Kills, zu Inhaltsverzeichnis, Abbildungen und Tabellen und dem Vorwort, klicken Sie auf das Buch.

**siehe Inhaltsverzeichnis

1) Wir haben auch die endgültige Akzeptanz bezüglich der Offensichtlichkeit der inhärenten Friedfertigkeit von Demokratien. Ein anonymer für einen weiteren Verlag arbeitender Rezensent dieses Buches behauptete, daß es "nichts neues" beinhalte und empfahl eine Ablehnung.

2) Ob der Prozeß der Demokratisierung größere Gewalt verursacht, vgl. Fußnote 2 in Kapitel 7.

3) Russett (1993, S. 136).

 

Übersetzung: David Schah