Demozid
– der befohlene Tod
aus
der Zeitschrift "eigentümlich
frei" Nr. 49, Januar 2005
Einleitung
und Interview von David Schah
In
den USA eine Koryphäe seines Fachs, ist der Historiker Rudolph
Rummel in Deutschland so gut wie unbekannt. Sein Hauptwerk besteht
aus mehreren Büchern zum Thema Demozid, einem Begriff, den
Rummel selbst geprägt hat. Während Genozid lediglich das
Töten von Menschen aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit bezeichnet,
umfaßt Demozid jedes geplante Töten durch Staaten, Regierungen
und parastaatliche Gebilde, das auf eine bestimme ethnische, religiöse
oder soziale oder auch anders konstituierte Gruppe von Menschen
abzielt. So läßt sich die Ermordung der Kulaken unter
Stalin ebenso unter dem Begriff Demozid zusammenfassen wie die mörderische
Fronarbeit mexikanischer Bauern Anfang des 20. Jahrhunderts und
auch der Bombenterror gegen Hiroshima, Nagasaki und Dresden.
Über
die Gründe darüber, warum ausgerechnet in einem Land wie
Deutschland, das in seiner jüngeren Geschichte in Bezug auf
Demozid viel ausgeteilt aber auch einiges eingesteckt hat, Rummels
wissenschaftliche Forschung auf taube Ohren stößt, können
nur Mutmaßungen angestellt werden. Der LIT-Verlag, der Rummels
Werke auf deutsch verlegt, hat den Verkauf des Rummel-Hauptwerks
„Demozid
– der befohlene Tod“ eingestellt. Lediglich auf
Anfrage bei LIT wird schon mal ein Exemplar versandt. Über
die Gründe für dieses Geschäftsgebaren schweigt man
sich aus. Selbst die Anfragen von Rummel selbst werden nicht beantwortet.
Ein kurzer Blick auf dessen Werk genügt aber, um die Gründe
dafür zu erahnen, dass einflußreiche Kreise hierzulande
die Deutschen offenbar nicht für reif genug halten, Rummels
Fakten und Zahlen zu ertragen. Daß etwa von der UdSSR drei
mal mehr Menschen ermordet wurden als von Nazideutschland. Oder
daß 1,8 Millionen Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer
eines Genozids wurden, dem man sich hier immer noch lediglich mit
der Bezeichnung „Vertreibung“ nähern darf, ohne
in die revisionistische Schmuddelecke gestellt zu werden.
Um
Rummels geringen Bekanntheitsgrad hierzulande ein wenig Abhilfe
zu verschaffen, hat eigentümlich frei ein ausführliches
Interview mit Rudolph Rummel geführt und ist dabei besonders
auf jene Geschichtskapitel eingegangen, die in Deutschland gerne
tabuisiert oder grotesk verzerrt dargestellt werden.
ef: Ihr Werk ist in Deutschland weitgehend unbekannt,
was auch daran liegt, dass der Vertrieb Ihres Buchs vom LIT Verlag
auf Eis gelegt wurde. Der Verlag ist noch nicht einmal Ihnen gegenüber
bereit, die Gründe dafür mitzuteilen. Was könnten
die Ursachen dafür sein?
Rummel:
Ich bin auch überrascht, dass die auch mein Buch “Death
by Government” nicht wiederaufgelegt haben, welches die umfassendste
Historie des Demozids im 20. Jahrhundert darstellt, mit vielen Zahlen
(siehe auch www.hawaii.edu/powerkills/note1.htm). Ich bin einfach
nicht vertraut mit der Szene in Deutschland, so dass ich nur Mutmaßungen
anstellen kann. Und diese Mutmaßungen würden darauf hinauslaufen,
dass einigen einflussreichen Deutschen die deutschen Demozidzahlen
wohl nicht geschmeckt haben.
ef:
Wie ist die Resonanz auf Ihre Demozidzahlen in den USA und anderswo
in der Welt? Woran entzündet sich die meiste Kritik?
Rummel:
In der Regel ist die Rezeption meiner Veröffentlichungen über
Demozid sehr gut. Es gibt allerdings eine Minderheit, die denkt,
dass ich ein Rechter sei und meine Zahlen voreingenommen seien oder
die früheren kommunistischen Staaten zu stark bedenken, vor
allem Kambodscha, China und die UdSSR. Meistens habe ich den Eindruck,
dass die Kritiker die Bücher nicht gelesen haben, denn entweder
ist es so, dass ich das, was ich ihrer Meinung nach hätte tun
sollen, getan habe oder dass ich das, was ich ihrer Meinung nach
nicht hätte tun sollen, nicht getan habe. Einige sind sehr
aufgebracht, dass ich eine Quelle aus Taiwan oder einer antikommunistischen
Liga aufgenommen habe, oder auch mal eines antikommunistischen Flüchtlings,
und verstehen dabei nicht, dass ich versucht habe, Quellen von allen
Seiten zu verwenden, so dass ich für jede Demozid-Schätzung
eine Höchst- und eine Mindestzahl erhalten konnte.
ef:
Gemessen an der Zahl der Opfer hat der sowjetische Gulag-Staat mit
Abstand die meisten Opfer gefordert. Der „nationalsozialistische
Genozidstaat“ kommt erst auf Platz drei – nach dem „kommunistischen
Ameisenstaat“ in China. In Deutschland ist die herrschende
Meinung, dass die Nazi-Tyrannei ein singuläres Ereignis der
Weltgeschichte ist, was die Dimension des Bösen angeht. Kann
man das Ausmaß der Tyrannei bloß anhand der Opferzahlen
oder der Opferrate festmachen, oder gibt es darüber hinaus
auch so etwas wie einen Gradmesser der demozidalen Qualität,
was z.B. die dem Demozid zugrundeliegende Menschenverachtung angeht,
die etwa Hitler zu einem schlimmeren Mörder machen würde
als Stalin?
Rummel:
Nein. Ich denke, dass Demozid nicht nur anhand der Zahl der Ermordeten
gemessen werden sollte, sondern auch anhand des Horrors der zugrundeliegenden
Tyrannei. Aber hier müssen die Bevölkerungszahl und die
Amtszeit des betreffenden Regimes berücksichtigt werden. Die
kambodschanischen Roten Khmer waren die absolut schlimmsten, da
sie innerhalb von 4 Jahren etwa 2 Millionen Menschen ihres Volkes
ermordet haben, ungefähr ein Viertel bis ein Drittel aller
Kambodschaner. Gemessen an der kontrollierten eigenen Bevölkerung
haben die Sowjets mit einer Jahresrate von 0,42% gemordet, die Khmer
Rouge dagegen mit einer Rate von 8,16 und die Deutschen von 0,09%.
In dieser Hinsicht, wenn man die Rate des Bösen bewerten will,
waren die Roten Khmer die schlimmsten.
Doch
ich nehme aufgrund solcher Daten keine Rangliste des Bösen vor. Wenn
Millionen Menschen von einem Regime ermordet werden, ist dies so offensichtlich
böse und unmenschlich, dass nichts weiteres gesagt werden muss. Es
wäre so, als wenn man fragen würde, was übler sei: Ein
Kind mit dem Hammer oder einem Messer zu metzeln. Stalin, Hitler, Mao,
Pol Pot und einige andere waren absolut böse. Eine Qualifizierung
des Bösen muss hier nicht mehr vorgenommen werden.
ef:
Der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki sowie das Flächenbombardements
deutscher Städte wie Dresden sind für Sie demozidale Akte,
da der Tod Hunderttausender unschuldiger Zivilisten billigend in
Kauf genommen wurde. Mildert der Umstand, dass die Alliierten im
Krieg nicht der Erstaggressor waren, die Qualität dieses Demozids
ab?
Rummel:
... Nicht für mich.
ef:
... Oder sind die Verantwortlichen ebenso als Kriegsverbrecher anzusehen
wie die Akteure der Gegenseite?
Rummel:
Ich kümmere mich nicht um die Gründe, denn absichtlich
Zivilisten zu ermorden, ist und bleibt Mord. Wenn jemand es schwierig
findet, dies für die Mörder von Zivilisten des Aggressors
zu akzeptieren, muss der sich fragen, wie man den Mord von Kindern
oder Leuten, die nichts mit dem Regime zu tun hatten oder sogar
vielmehr in Opposition zu dessen Aggression standen, qualifizieren
kann.
ef:
Sie zählen etwa 1,86 Millionen deutschstämmige Genozidopfer
der ethnischen Säuberung in Osteuropa kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg, davon etwa 1,58 Millionen allein im Gebiet des heutigen
Polen. Insgesamt wurden 15 Millionen Deutsche vertrieben. In Deutschland
wurden diese Verbrechen von den maßgeblichen Meinungsführern
bislang meist als unvermeidbare Folge der Nazi-Verbrechen angesehen
und teilweise sogar legitimiert.
Rummel:
Damit bin ich nicht einverstanden. Es war regelrechter Genozid,
der an ethnischen Deutschen verübt wurde, von denen viele vielleicht
gegen Hitlers Eroberungen und Besetzungen waren, oder sie waren
Kinder oder dekorierte ehemalige Soldaten, die für das Land
gekämpft haben, das sie dann aufgrund ihrer Abstammung ermordet
hat. Was Akte genozidalen Mords angeht, sehe ich kaum einen Unterschied,
ob jemand erschossen wird, weil er Jude ist oder ethnischer Deutscher.
Ich weiß natürlich, dass Juden als zu eliminierendes
Ungeziefer angesehen wurden. Doch wenn man sich die Begründungen
derer ansieht, die ethnische Deutsche getötet haben, wurde
ungefähr die gleiche Sprache gebraucht. Es ist jedoch keine
Frage des Sprachgebrauchs, sondern der Absicht und der Tat selbst,
was für mich das Böse ausmacht.
ef:
Erst seit einigen Jahren wird dieses Geschichtskapitel ein wenig
aufgearbeitet. Wie ist Ihre Haltung dazu? Kann es aus pädagogischen
Gründen legitim sein, bestimmte Demozide in der Öffentlichkeit
zu tabuisieren?
Rummel:
Nein. Ich kann zwar die politischen Gründe dafür und die
Zurückhaltung, dieses alles aufzuarbeiten, verstehen. Aber
es ist falsch. Alle Demozide sind Mord, und Mord sollte als das
behandelt werden was es ist: Etwas Böses, Schreckliches und
etwas, was für alle Zeiten mit allen möglichen Mitteln
ausgelöscht werden sollte.
ef:
Sie erwähnen auch Demozide an amerikanischen Indianern (etwa
das Gemetzel an 500 bis 600 Pequot-Indianer durch die Puritaner
bei Mystic Fort 1637 oder die Vernichtung von 1000 Natchez-Indianern
am unteren Mississippi durch die Franzosen 1731 oder von 146 Sioux
bei Wounded Knee 1890). Insgesamt zählen Sie zwischen 1789
und 1900 maximal 25000 indianische Demozid-Opfer, die von der US-Regierung
und von Siedlern getötet wurden oder die, wie etwa die Cherokee,
deportiert wurden. In Mittel- und Südamerika starben dagegen
Ihren Angaben zufolge 60 bis 80 Millionen Eingeborene als Ergebnis
der europäischen Invasion. Die Zahl 60 Millionen wird in Deutschland
dagegen gerne als Zahl der indianischen Opfer allein in den USA
genannt, vor allem bei linken und rechten Sozialisten, etwa der
NPD (z.B. Voigt-Interview in der JF). Sind Ihre Zahlen in Bezug
auf die USA zu optimistisch oder haben wir es hier mit einer grotesken
Geschichtsverzerrung in Europa zu tun?
Rummel:
Das Problem ist, was man unter Opfern versteht. Die Zahl der Toten
durch Krankheiten, die durch die Siedler auf den amerikanischen
Kontinent geschleppt wurden, war bestimmt horrend, und vielleicht
kommt die Zahl 60 Millionen nahe an die Zahl der Gesamttoten heran,
auch wenn ich bezweifele, dass die Bevölkerungszahl damals
überhaupt so groß war. Doch dieser nicht-intentionale
Tod durch Krankheit wird oft verwechselt mit der Zahl der ermordeten
Indianer. Diese Zahl ist überraschend niedrig, verglichen mit
den Ermordeten in den europäischen Kolonien wie etwa dem Freistaat
Kongo des belgischen Königs (5 bis 11 Millionen Tote). Ein
Grund für das Missverständnis ist die große Zahl
von Einzelfällen, in denen Indianer durch Bundestruppen massakriert
wurden. Auf der Grundlage der europäischen Geschichte denkt
man bei Massakern an Tausende und manchmal an Hunderttausende von
Toten. Aber in den USA haben wir es tatsächlich mal mit 150
hier, mit 200 da oder 74 Opfern an einem anderen Ort zu tun. Natürlich
summiert sich das, aber eben nur auf eine niedrige Zahl im Tausenderbereich
und nicht im Hunderttausenderbereich. Natürlich werden antiamerikanische
Propagandisten ihr Tun fortsetzen. Aber ich hoffe, dass unvoreingenommene
Studenten diese Zahlen etwas näher betrachten werden. Was also
Demozid angeht, haben wir es in der Tat mit einer grotesken Verzerrung
zu tun, wenn behauptet wird, 60 Millionen Indianer seien in den
USA ermordet worden. Wer immer das behauptet, dessen Daten und Quellen
würde ich gerne mal sehen.
ef:
Sie legen dar, dass es bislang keinen Demozid in und zwischen Demokratien
gegeben hat. Ist dieser Umstand im Wesen der Demokratie angelegt
oder ist es historisch gesehen noch zu früh, demokratischen
Demozid für alle Zukunft auszuschließen?
Rummel:
Nein, es liegt wirklich am Wesen der Demokratie. Siehe Kapitel 7
von Saving Lives in www.hawaii.edu/powerkills/WF.CHAP7.HTM oder,
wem das zu kurz ist, Kapitel 13 von Power Kills auf www.hawaii.edu/powerkills/PK.CHAP13.HTM.
ef:
Lassen Sie uns einen Punkt Ihrer Demozid-Definition herausgreifen:
„Auferlegen todbringender Lebensbedingungen“. Fällt
darunter z.B. das Verhängen eines Embargos, das die Gesundheitsversorgung
der betroffenen Bevölkerung beeinträchtigt?
Rummel:
Ja, wenn man weiß, das es todbringend ist, wie das britische
Embargo gegen Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Das war Demozid
und als solchen habe ich es auch bewertet.
ef:
Es gibt Berechnungen, dass infolge des UN-Embargos die Kindersterblichkeit
im Irak auf das Niveau eines Vierte-Welt-Landes hochgegangen ist,
so dass bis zu 1 Millionen Kinder infolge des Embargos gestorben
sind. Wäre das Demozid?
Rummel:
Nein, weil Nahrung und Medizin nicht Teil des Embargos waren, diese
aber von Saddam angeeignet wurden, wie auch der Erlös aus dem
Ölverkauf, der für die Versorgung der Bevölkerung
gedacht war. Im Endeffekt war es Saddam selbst, der in diesem Fall
einen Demozid begangen hat.
ef:
Demozid muss nach Ihrer Definition immer vorsätzlich geschehen.
Kann es auch Fälle geben, wo dieser Vorsatz nicht unbedingt
erkennbar oder gegeben ist? Oder kann es Demozid aus Leichtfertigkeit
geben, etwa durch eine Politik, bei welcher der Tod von Bürgern
billigend in Kauf genommen wird?
Rummel:
Ja. Es ist immer noch Demozid wenn Leute wissentlich andere in Umstände
bringen, die zum Verlust ihres Lebens führen, auch wenn letzteres
nicht die Absicht war. Beispielsweise haben während des Ersten
Weltkriegs Russen die deutschen Kriegsgefangenen in solch schrecklichen
und lebensverzehrenden Lagern gehalten, dass Zehntausende von ihnen
unnötigerweise an Hunger und Krankheiten starben. Das war Demozid.
ef:
Ein Fallbeispiel: Demokratische Politiker machen eine Wirtschafts-
oder Gesundheitspolitik, die in erster Linie an der Befriedigung
von Lobbygruppen orientiert ist. Es stellt sich heraus, dass durch
eine andere Politik mehr Menschen überlebt hätten, etwa
durch niedrigere Medikamentenkosten und eine bessere ärztliche
Versorgung, durch weniger Beschaffungskriminalität durch eine
Legalisierung von Drogen, durch mehr Lebensfreude infolge weniger
Entmündigung und mehr Freiheit. Könnte man in solchen
Fällen Politiker für den Tod von Menschen verantwortlich
machen, und läge hier auch eine Art Demozid vor?
Rummel:
Man muss in so einem Fall zeigen, dass dies wissentlich geschieht,
unter ruchloser Missachtung der klar tödlichen Folgen. Das
ist nicht so klar wie in der Behandlung von Kriegsgefangenen und
bei künstlich herbeigeführten Hungersnöten. In Einzelfällen
kann man das leicht beweisen, etwa wenn Eltern ihr Kind nackt in
einer Kammer ohne Zugang zur Toilette stecken und ihm wenig gesunde
Nahrung zukommen lassen und das Kind stirbt dann an Krankheit oder
Unterernährung. Das wäre nach amerikanischem Recht Mord.
ef:
Gibt es eine mögliche Gesellschaftsform, die vielleicht noch
weniger anfällig für Demozid wäre als die jetzige
westliche Demokratie?
Rummel:
Die westliche Demokratie umfasst mehrere Typen. Die am wenigsten
empfängliche für Demozid ist die liberale Demokratie,
also eine Demokratie mit maximalen Menschenrechten und einer Herrschaft
des Rechts. Unter solchen Regierungen ist mir bislang kein Fall
von Demozid an Einheimischen bekannt.
Web-Hinweis:
Ausführliche Darstellung der Demozid-Forschung von Rudolph
Rummel auf: www.hawaii.edu/powerkills
Anmerkung
vom 30.11.05: Das Buch "Demozid"
ist inzwischen wieder im Buchhandel erhältlich, so auch bei Amazon. |